Schwarz, Ferdinand

Schwarz — Ferdinand, Politiker, Journalist und Gewerbetreibender. Geb. Neuhabendorf, Böhmen (Stráž nad Nisou, Tschechien), 22. 3. 1852; gest. Reichenberg, Böhmen (Liberec, Tschechien), 16. 12. 1906.

Sohn eines Gärtners. S. ging als gelernter Bäckergeselle auf Wanderschaft in Süddtld. und in den österr. Alpenländern. Ab 1870 führte er eine eigene Bäckerei, die er auch als sozialdemokrat. Parteifunktionär bis zuletzt betrieb. Von demokrat. Freidenkertum und religiösem Sozialismus beeinflußt, wandte sich S. früh der sozialdemokrat. Bewegung zu. Zunächst auf lokaler Ebene als Vors. des Ver. „Bildungsstufe“ in Alt- und Neuhabendorf und als Mithrsg. der in Reichenberg erscheinenden ersten dt. sozialdemokrat. Z. Böhmens, „Arbeiterfreund“, tätig, unterstützte er die Beschlüsse des Parteitags der gesamtösterr. Sozialdemokratie 1874 und nahm 1875–80 persönl. an allen Parteitagen teil. Durch seine Besonnenheit und Bildung – S. besaß eine große Privatbibl. – erwarb sich S. das allg. Vertrauen als führende Persönlichkeit der nordböhm. sozialdemokrat. Organisation. Darüber hinaus wurden ihm auf dem Parteitag in Wr. Neustadt 1876 die Kontrollkomm. und in Atzgersdorf (Wien) 1877 die Zentralleitung der österr. Arbeiterpartei anvertraut. So war er als Sekretär des Reichenberger Zentralkomitees 1877–79 und von Mai bis Dezember 1880 sowie als Hrsg. der Ms. der Parteiorganisation „Sozialpolitische Rundschau“ seit 1878 mehr als zwei Jahre lang Oberhaupt der gesamtösterr. Sozialdemokratie. Im Auftrag des Reichenberger Zentralkomitees beteiligte er sich am geheimen Gründungsparteitag der tschechischen Sozialdemokratie in Prag-Brevnov 1878 und trug maßgebl. zur ungestörten Zusammenarbeit der dt.österr. und tschech. Frühsozialisten bei. In mehreren Aufsätzen in drei Reichenberger Parteiz. 1874–82 bekämpfte S. die Nationalitätenhetze sowie den Anarchismus und unterstützte die Linie August Bebels und Wilhelm Liebknechts in der sozialdemokrat. Arbeiterbewegung Dtld. Nach dem Verrat des geheimen Kongresses in Brevnov wurde er zu zwei, nach dem großen Schauprozeß gegen 51 nordböhm. Sozialdemokraten in Prag 1882 zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Karl Kautsky versuchte 1883, S. als Mitred. der theoret. Z. der dt. Sozialdemokratie „Die neue Zeit“ in Stuttgart zu gewinnen, S. lehnte jedoch ab. Auf Lokalebene wirkte er weiterhin für die Sozialdemokratie und nahm aktiv am Kampf für das allg. Wahlrecht teil.


Werke: zahlr. Beitrr. in den Z. Arbeiterfreund, Sozialpolit. Rundschau und Volksfreund.
Literatur: Arbeiter-Ztg., 17., Reichenberger Ztg., 17. und 18. 12. 1906; L. Brügel, Geschichte der österr. Sozialdemokratie 2–3, 1922, 5, 1925, s. Reg.; E. Strauss, Die Entstehung der dt.böhm. Arbeiterbewegung, 1925, S. 142ff. (mit Bild); V. Adler. Briefwechsel mit A. Bebel und K. Kautsky, ges. und erläutert von F. Adler, 1954, bes. S. 16; J. Koralka, Severoceští socialisté v cele delnického hnutí ceských a rakouských zemí, 1963; H. Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage im habsburg. Vielvölkerstaat (= Veröff. der Arbeitsgemeinschaft für Geschichte der Arbeiterbewegung 1), 1963, s. Reg.; H. Steiner, Die Arbeiterbewegung Österr. 1867–89 (= ebenda, 2), 1964, s. Reg.; Weg – Leistung – Schicksal. Geschichte der sudetendt. Arbeiterbewegung in Wort und Bild, 1972, S. 18, 33 (mit Bild); Z. Šolle, in: Die Bewegung, hrsg. von E. Fröschl, M. Mesner und H. Zoitl, (1990), s. Reg.; K. und L. Kautsky. Briefwechsel mit der Tschechoslowakei 1879–1939, hrsg. von Z. Šolle (= Quellen und Stud. zur Sozialgeschichte 11), 1993, s. Reg.; Archiv des Ver. für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien; Mitt. Wolfgang Maderthaner, Wien.
Autor: (J. Koralka)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 11 (Lfg. 54, 1999), S. 432f.
geboren in Stráž nad Nisou
gestorben in Liberec

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