Sohn eines Gymnasialdir., Vater des Musikers und Musikwiss. Alfred L. (s. d.) und des Folgenden; stud. an der Univ. Wien Philol. bei Bonitz (s. d.), Phil. bei F. K. Lott (s. d.) und Geschichte bei A. Jäger (s. d.) und Aschbach (s. d.). 1855/56 Mitgl. des ersten Ausbildungskurses am Inst. für österr. Geschichtsforschung, stellte er durch Privatunterricht in Paläographie, den ihm Th. v. Sickel erteilte, die erste Verbindung Sickels zum Inst. her. 1856 wurde er Amanuensis an der Univ.Bibl. und Priv.Doz. in Wien, ab 1857 Beamter am Haus-, Hof- und Staatsarchiv, 1860 ao. und nach Ablehnung eines Rufs nach Freiburg i. Br. 1861 o. Prof. für allg. und österr. Geschichte. 1861 schrieb L., der auch ein bedeutender polit. Publizist war, in Schmerlings Auftrag die gegen den ung. Politiker Déak (s. d.) gerichtete Abh. „Déaks Adress-Entwurf und das Staatsrecht Österreichs“. 1865 verlor er wegen eines in der „Presse“ veröff. Leitartikels gegen die Verfassungssistierung mit Anspielungen auf den letzten französ. Bourbonenkg. Karl X., durch die sich K. Franz Joseph (s. d.) persönlich getroffen fühlte, die Anstellung am Staatsarchiv. 1880 Rektor der Univ. Wien, geriet L. in der Folgezeit wegen seines Eintretens für den von den dt. nationalen Studenten scharf angegriffenen Rektor F. Maaßen (s. d.), der sich für tschech. Schulen in Wien ausgesprochen hatte, in Konflikt mit der Studentenschaft, aber auch mit einem großen Teil der Kollegen. Durch Vermittlung des Herzogs Ernst II. v. Sachsen-Coburg-Gotha, dessen Erinnerungen L. red., erhielt er einen Ruf nach Jena, dem er folgte. 1861 korr., 1877 w. Mitgl. der Akad. der Wiss. in Wien. In Wien beschäftigte sich L. vorwiegend mit Themen der spätmittelalterlichen österr. und dt. Geschichte, aber auch, unter Benutzung ihm zur Verfügung gestellter Quellen aus Privatbesitz, mit der Politik Josephs II. in den österr. Niederlanden sowie mit Fragen der hist. Methode. Mit L. v. Ranke schon zu seiner Wr. Zeit freundschaftlich verbunden, entwickelte er dessen Gedanken über die Bedeutung der Generationen für die geschichtliche Periodisierung zu einer eigenen Generationenlehre und kam von hier aus zur Geneal., zu deren Entwicklung zur hist. Hilfswiss. er entscheidend beitrug. In seinem letzten großen Werk „Kaiser Wilhelm und die Begründung des Deutschen Reiches“ wandte er sich, gestützt auf persönliche Mitt. und Aufzeichnungen der an der Reichsgründung beteiligten dt. Fürsten, wieder der neuesten Geschichte zu. L. hat mehrfach, so in der Kritik an Joseph II. oder in der positiveren Beurteilung Metternichs, im polem. Widerspruch zu herrschenden Auffassungen seiner Zeit, spätere Erkenntnisse der hist. Forschung vorweggenommen. Gegenüber dem Vorwurf des häufigen, einstige Freunde und Kampfgefährten verletzenden Gesinnungswandels (vom „Großösterreicher“ zum „Kleindeutschen“, vom Liberalen zum Konservativen, vom Katholiken zum Protestanten) ist doch auch eine Kontinuität in wesentlichen Fragen feststellbar: so die starke Betonung des staatlich-polit. Elements, auch gegenüber der mächtigen Zeitströmung des Ethn.-Nationalen, vor allem aber die leidenschaftliche Gegnerschaft gegen „herrschende Lehren“ und starre Schulmeinungen. Durch seine Beratertätigkeit für den österr. Anteil an der Allgemeinen Deutschen Biographie machte er sich um diesen sehr verdient.
Literatur: N. Fr. Pr. vom 14. und 15. 5. 1904; Wr. Ztg. vom 17. 5. 1905; Wegwarte vom 3. 10. 1953; Hochland, Jg. 1, 1903/04, S. 495 f.; Der dt. Herold, 1904, S. 112; Hist. Vierteljahrss., Jg. 7, 1904, S. 449 ff.; Carinthia I, Jg. 94, 1904, S. 206 f.; Ceský casopis Historický, Bd. 10, 1904, S. 360 f.; Mitt. des Musealver.für Krain, Jg. 17, 1904, S. 213; Almanach Wien, 1904; MIÖG, Bd. 26, 1905, S. 190 ff., Erg.Bd. 11, 1929, S. 807 ff.; M. Steiner, Die Wr. Zeit des O. L., phil. Diss. Wien, 1954; H. Heller, Mährens Männer der Gegenwart, Tl. 3, 1889, S. 100 ff.; Wurzbach; Kosch, Das kath. Deutschland; Biograph. Jb., 1906–1907; Österr.-Lex., hrsg. von R. Bamberger und F. Maier–Bruck, Bd. 2, 1967; Otto 16; Bittner 1, S. 81 ff.; Santifaller, n. 2; A. Lhotsky, Geschichte des Inst. für österr. Geschichtsforschung 1854–1954, in: MIÖG, Erg.Bd. 17, 1954, s. Reg.; H. v. Srbik, Geist und Geschichte vom dt. Humanismus bis zur Gegenwart, 2 Bde., 1950–51, s. Reg.
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 5 (Lfg. 24, 1971), S. 318f.