Sever, Albert

Sever Albert, Politiker. Geb. Agram (Zagreb, Kroatien), 24. 11. 1867; gest. Wien, 12. 2. 1942.

Sohn eines früh verstorbenen Beamten, wuchs S. unter ärmlichsten Bedingungen ab 1876 in Wien auf. Nach einer Fleischhauerlehre in Ottakring (Wien 16) arbeitete S. als Hausknecht, danach als Magazineur bei der Buntpapierfabrik Goppold & Schmiedel, wo er Schuhmeier (s. d.) kennenlernte. Die polit. Laufbahn S.s begann in dem von Schuhmeier geleiteten, als Rauchklub getarnten polit. Ver. „Apollo“, der zur Keimzelle der Wr. Sozialdemokrat. Arbeiterbewegung werden sollte. Während Schuhmeier als glänzender Redner und Agitator reüssierte, galt S. als rühriger Organisator. Er initiierte die Gliederung der Bez.partei nach Sektionen und Sprengeln und schuf so die Grundlagen einer modernen demokrat. Massenpartei völlig neuen Stils. 1908 wurde der seit 1894 als Krankenkassenbeamte tätige S. in den nö. Landtag, 1911 in den Reichsrat gewählt. Nach der Ermordung Schuhmeiers (1913) folgte er diesem als Obmann der sozialdemokrat. Bez.organisation Ottakring, der stärksten Parteiorganisation Wiens. Zu Kriegsende konnte er auf Bitten des Kriegsmin. die Unruhe unter den Marinesoldaten in Pola (Pula) kalmieren und Tausende von ihnen vor der Kriegsgefangenschaft bewahren. Als die Sozialdemokraten im Mai 1919 bei den Landtagswahlen in NÖ die absolute Mehrheit errangen, wurde S. einstimmig zum Landeshptm. gewählt. Seine wohl folgenreichste und zugleich umstrittenste Maßnahme in dieser Funktion war eine Verordnung, die Geschiedenen aufgrund eines Dispenses des Landeshptm. die Wiederverheiratung ermöglichte. Diese sog. „Sever-Ehen“ nahmen für einige Zeit Massencharakter an. Kritik riefen aber auch von ihm veranlaßte Ausweisungen galiz.-jüd. Flüchtlinge aus dem Nachkriegs-Wien hervor. Die Trennung Wiens von NÖ war für S. 1921 der Anlaß, als Landeshptm. zurückzutreten und sich auf seine Tätigkeit im Nationalrat (er war bereits Mitgl. der Prov.und der Konstituierenden Nationalversmlg.gewesen) zu konzentrieren. Nach dem gescheiterten Restaurationsversuch K. Karls (s. Karl Franz Joseph) in Ungarn gehörte er zu jenen Offiziellen, die die Durchreise Karls durch Österr. überwachten. In der Folge v. a. parteiintern tätig, bemühte sich der bei der Bevölkerung sehr populäre S.auf Bez.ebene bes. um die Errichtung kommunaler Wohnbauten (Gartenstadt auf der Schmelz, Siedlung im Spiegelgrund, Schuhmeierhof, Sandleiten). Im Bürgerkrieg 1934 wurde auch seine Wohnung im Ottakringer Arbeiterheim unter Beschuß genommen, wobei seine Frau Ida S., geb. Kirchberger (geb. 1874; gest. Wien, 12. 2. 1934), durch Granatsplitter getötet wurde. S., der zwei Tage danach verhaftet wurde, erlitt deshalb während der Haft mehrere Nervenzusammenbrüche und schwere Depressionen. Im Oktober 1934 entlassen, waren ihm jegl. polit. Tätigkeit und ein Wohnsitz in seinem Heimatbez. untersagt. Dennoch sammelte der an schweren körperl. Gebrechen leidende S. einen konspirativen Zirkel von sozialdemokrat. Freunden um sich. Ein unmittelbar nach dem „Anschluß“ durch NS-Parteigänger überbrachtes Angebot einer Wohnung und Gewährung einer Pension hatte S. abgelehnt.


Werke: Ein Mann aus dem Volk. Selbstbiographie, 1956; etc.
Literatur: Austrian Labor Information, 20. 6. 1942; Bourdet; Czeike; Renner, Nachlässe; H. Pfoch, in: Werk und Widerhall, ed. N. Leser, 1964, S. 390ff. (mit Bild); P. Sever, A. S., phil. Diss. Wien, 1969 (mit Bild); A. Magaziner, Die Wegbereiter, 1975, S. 68ff. (mit Bild); U. Harmat, Die Auseinandersetzungen um das Ehescheidungsrecht und die sog. „Sever-Ehen“ 1918–38, phil. Diss. Wien, 1996, bes. S. 144f.; Biograph. Hdb. der österr. Parlamentarier 1918–98, 1998.
Autor: (W. Maderthaner)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 56, 2002), S. 203f.
geboren in Zagreb
gestorben in Wien

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