Strzygowski, Josef d. J.

Strzygowski Josef d. J., Kunsthistoriker. Geb. Nußdorf/Leszczyny, Galizien (Bielsko-Biala, Polen), 7. 3. 1862; gest. Wien, 2. 1. 1941; röm.-kath.

Neffe von Franz S. d. J. (s. d.). – S. holte nach einer Ausbildung im Textilfach die Matura nach und stud. ab 1882 klass. Archäol. und Kunstgeschichte in Wien, Berlin (1883–84) und München (1885 Dr. phil.), 1887 Habil. an der Univ. Wien. 1892 auf den Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Univ. Graz berufen, trat er 1909 die Nachfolge Franz Wickhoffs in Wien an, 1932 emer. S.s Laufbahn war geprägt vom scharfen Gegensatz zur Wr. Schule der Kunstgeschichte, die er für zu akadem., humanist. und dem (italien.) Süden zugewandt hielt, während er von deren Vertretern mit J. A. v. Schlossers (s. d.) Apodiktum „Attila der Kunstgeschichte“ prägnant charakterisiert wurde. Äußeres Zeichen dafür war die klare Trennung der beiden Wr. kunsthist. Lehrstühle seit 1912, wobei S.s, obgleich später eingerichtet, als Erste Kunsthist. Lehrkanzel bezeichnet wurde. Seit Beginn seiner Forschungstätigkeit war S. auf der Suche nach den Wurzeln der spätantiken und mittelalterl. Kunst Europas außerhalb Roms und unternahm dazu Stud.reisen und Expeditionen, deren Ergebnisse er in zahlreichen größeren Publ. veröff. 1885–89 arbeitete S. meist in Rom, 1889 reiste er nach Griechenland und Konstantinopel (Istanbul), 1890 nach Rußland und Armenien, 1894/95 beschaffte er in Ägypten umfangreiche Bestände kopt. Kunst sowie in Jordanien die Mschatta-Fassade für das K.-Friedrich-Mus. in Berlin. In seinen Arbeiten zur kopt. Kunst führte S. seine Gedanken zu „Machtkunst“ und „Volkskunst“ breiter aus; dort und in seiner Mschatta-Publ. (1904) wird auch der Zug zu willkürl. Datierungen zur Bekräftigung ideolog. pointierter Hypothesen deutl. In „Orient oder Rom“ (1901) wandte er sich gegen die auf Rom konzentrierte (frühchristl.) Kunstgeschichte, v. a. um Joseph Wilpert. In „Kleinasien – Ein Neuland der Kunstgeschichte“ (1903) behandelte er bislang unbekannte Denkmäler in Kleinasien, das als Wiege des frühen Christentums bis dato nicht präsent war. Resultat einer 1913 gem. mit dem Architekten Toros Toramanian unternommenen Expedition nach Armenien war „Die Baukunst der Armenier und Europa“ (2 Bde., 1918), worin S. seine Ansichten über die herausragende Rolle der armen. Architektur für die europ. darlegte. Dabei spielte die These der aus der iran. Architektur übernommenen Trompenkuppel über dem Quadrat eine fast myst. Rolle. Der Iran als (südl.) „Rand des Nordens“ erlangte in den 1920er Jahren neben den zunehmenden Gedanken zum Nord-Mythos und der Rolle des „Arischen“ immer größere Bedeutung in S.s Werken. Die Überlegungen zur Rolle des Nordens gegenüber dem Mediterraneum waren beeinflußt durch nationalist. geprägtes Gedankengut der jungen Prähistorie (etwa von M. Much, s. d.), wobei S. bei allem Völk. aber auf eine „Weltkunst“ hinzielte. In späten Mss. verfolgte er die Idee eines „amerasiatischen Trichters“, durch den der Norden auf den Süden gewirkt habe. Eine „vergleichende Kunstwissenschaft“, die weite geograph. Räume erfassen sollte, schien ihm nur in einem internationalen und interdisziplinären Forschungsinst. realisierbar. Bereits auf dem internationalen Kunsthistorikerkongreß in Darmstadt 1907 schlug er – allerdings erfolglos – vor, eine internationale Ber.erstattung und Bibliographie einzuführen; statt dessen wurde der Dt. Ver. für Kunstwiss. gegr. 1912 beantragte er vergebl. die Einrichtung von Zweigstellen seines Wr. Inst. u. a. in Konstantinopel, Teheran und Peking; 1934 gründete er die Ges. für vergleichende Kunstforschung in Wien. S.s Verdienst bleibt die konsequente Einbeziehung des Orients in die spätantike und mittelalterl. Kunstgeschichte; dem gegenüber stehen jedoch seine in den 1920er Jahren zunehmend abstrus werdenden Ideen einer führenden Rolle des Nordens. In der Wr. Kunstgeschichte stets ein Außenseiter, war er international anerkannt, wie Einladungen in die USA und bes. nach Skandinavien (in den 1920er Jahren) zeigen; allerdings verblaßte sein internationaler Ruf in den 1930er Jahren. Für die Formierung nationaler Kunstgeschichtsschreibung in den Ländern Osteuropas waren S.s Ideen von Bedeutung und leben v. a. in der armen. und georg. Kunstgeschichte fort; in der dt.sprachigen Kunstgeschichte wurden sie hingegen bald ad acta gelegt. Ab 1931 war er Mitgl. des Internationalen Inst. für geistige Zusammenarbeit des Völkerbunds.


Werke: Weitere W.: s. A. Karasek-Langer, Verzeichnis der Schriften von J. S., 1933; A. Zäh, Schriftenverzeichnis von J. S. (in Vorbereitung).
Literatur: E. Frodl-Kraft, in: Wr. Jb. für Kunstgeschichte 42, 1989, S. 7ff.; S. Marchand, in: History and Theory 33, 1994, S. 106ff.; M. Olin, in: The Habsburg Legacy …, ed. R. Robertson – E. Timms, 1994, S. 113ff.; A. Wharton, Refiguring the Post-Classical City, 1995, S. 3ff., 9ff.; The Dictionary of Art 29, 1996; M. Olin, in: Judaism 45, 1996, S. 461ff.; C. Maranci, in: Visual Resources 13, 1998, S. 361ff.; M. Olin, in: P. Schine Gold – B. C. Sax, Cultural Visions, 2000, S. 151ff.; C. Maranci, Medieval Armenian Architecture, 2001, S. 72ff.; dies., in: Revue des Études Arméniennes 28, 2001–02, S. 287ff.; C. Jäggi, in: Sanat tarihi defterleri 6, 2002, S. 91ff.; H. Aurenhammer, in: Mitt. der Ges. für Vergleichende Kunstforschung in Wien 54, 2002, Nr. 2/3, S. 3ff. (m. B. u. L.); ders., in: Wr. Jb. für Kunstgeschichte 53, 2004, S. 11ff.; C. S. Wood, ebd., S. 217ff.; V. P. Goss, in: Acta Historiae artium 47, 2006, S. 335ff.; L. Török, ebd., S. 305ff.; C. Maranci, ebd., S. 313ff.; A. Zäh, ebd., S. 321ff.; A. Plontke-Lüning, Frühchristl. Architektur in Kaukasien, 2007, S. 65ff., 319f.; dies., in: Röm. Quartalschrift 106 (im Druck); UA, Wien; UA, Berlin, München, beide Dtld.; Mitt. Walter Strzygowski, Wien.
Autor: (A. Plontke-Lüning)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 62, 2010), S. 434f.
geboren in Bielsko-Biała
gestorben in Wien

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