Sohn eines kgl. Kanzleisekr. – S. wuchs im pietist. Milieu auf, besuchte in seiner Geburtsstadt das humanist. Karlsgymn. und absolv. nach dem Abitur eine kaufmänn. Lehre in der Fa. Paul Lechler. 1887 trat er in eine Farbenfa. in Amsterdam ein, wechselte 1891 in den österr. Schwesternbetrieb der Fa. Avenarius mit Sitz in Wien, wo er 1894 zum Prokuristen, 1909 zum Dir. befördert wurde, ehe er nach dem Tod des Fa.gründers Richard Avenarius im Februar 1917 zum Alleinerben des österr. Unternehmens wurde. Dieser hatte das Holzschutzmittel Carbolineum, ein Steinkohlenteeröl, entwickelt, das man seit 1895 in Amstetten produzierte. S. baute den dortigen Ind.betrieb Carbolineumfabrik Richard Avenarius aus, i. d. F. kamen weitere Zweigbetriebe in Engerau/ Ligetfalu (Bratislava-Petržalka) (1906), ein Büro in Budapest, Niederlassungen in Karlburg/Oroszvár (Bratislava-Rusovce) (1931) sowie Teschen (Cieszyn/Ceský Tešín) (1933) hinzu. Mit dem von S. rezeptierten Insektizid Obstbaum-Carbolineum Dendrid führte er den chem. Pflanzenschutz in Österr. ein. 1918–38 übernahm die Fa. die österr. Gen.vertretung der IG Farbenind. AG für deren Pflanzenschutzmittel. 1940 erfolgte die Umwandlung in eine offene Handelsges. S., der über den christl. Ver. junger Männer (CVJM) Zugang zur evang. Kirche gefunden hatte, war in den Wr. Gmd. sowie im Gustav-Adolf-Ver. ein tatkräftiger Mitarb. und Mäzen. Er wirkte auch im Rahmen der Wr. Superintendenz AB und begleitete Heinzelmann (s. d.) im Superintendentialausschuß. Auf gesamtkirchl. Ebene war er Mitgl. der Synode AB und führte als Alterspräs. zeitweise den Vorsitz. Bes. Sympathie hegte er für die Herrnhuter Brüdergemeine. S.s Sohn Richard (geb. Wien, 18. 9. 1900; gest. Wels, OÖ, 20. 4. 1987) trat 1919 in die Fa. ein, deren Zentralverwaltung sich bis 1996 in Wien befand. Dessen Bruder Dr. Wilhelm S. (geb. Wien, 2. 11. 1898; gest. Amstetten, NÖ, 24. 4. 1993) übernahm 1927 den Ausbau der Fabrik in Amstetten, wo er ein eigenes chem. Labor errichtete. Nach dem Krieg wurde die Fa. als dt. Eigentum unter russ. Verwaltung (USIA) gestellt, die Niederlassungen in Tschechien, Slowenien, Polen und Ungarn gingen verloren. 1947 gründeten die Brüder in Wels die Farbenfa. Agro für die Belieferung der westl. Besatzungszonen. 1955 ging das Unternehmen wieder in Familienbesitz über, 1960 erfolgte die Umbenennung in R. Avenarius, Chemische Fabrik.
Literatur: (tw. auch für Richard und Wilhelm S.): Carbolineumfabrik R. Avenarius 1894–1944, 1944 (FS-Smlg., Wirtschaftskammer Österr., Wien); Amtsbl. der Evang. Kirche AB und HB in Österr. 12, 1950, S. 88ff.; Gedenkschrift zur Erinnerung an H. G. R. S. … anläßl. der 100. Wiederkehr seines Geburtstages, 1967; G. Traar, Eine Wolke von Zeugen, 2. erweiterte Aufl. 1974, S. 256ff.; W. Pusch, Evang. Familiengeschichten aus St. Aegyd, 2003, S. 109ff. (m. B., auch von Richard und Wilhelm S.); Materialiensmlg. ÖBL, WStLA, Wirtschaftskammer Österr. – Archiv (Gewerbearchiv), alle Wien; Mitt. Dieter Stroh, Klosterneuburg, NÖ.
Autor: (I. Nawrocka – K. Schwarz)
Referenz: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 62, 2010), S. 419